Die Täter: Zwei Verantwortlich

Die nationalsozialistischen Euthanasie-Verbrechen an mehreren hunderttausend kranken und behinderten Menschen hatten eine längere Vorgeschichte. An der Durchführung waren sehr viele Menschen beteiligt. Grundlage dafür war die Vorstellung, dass behinderte oder psychisch kranke Menschen „minderwertig“ seien. Weil ihre Arbeitsleistung als zu gering eingeschätzt wurde, bezeichnete man sie als „Ballastexistenzen“ für die Gesellschaft. Solche Menschen müssten von ihrem „Leid“ erlöst werden. Ohne diese menschenverachtenden Vorstellungen hätte es nicht die vielen Menschen gegeben, die am Ende die Spritzen setzten, den Gashahn öffneten oder das Essen verweigerten.

In den Alsterdorfer Anstalten sind in der NS-Zeit Pastor Friedrich Lensch als Direktor und Dr. Gerhard Kreyenberg als Oberarzt verantwortlich gewesen. Sie haben früh das eugenische Denken von der Befreiung der Gesellschaft von Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung durch Zwangssterilisationen vorangetrieben. Als schließlich die Selektion und der Abtransport von mehreren hundert Menschen vorbereitet wurden, die in den Alsterdorfer Anstalten lebten, haben sie dem 1941 nichts entgegengesetzt und 1943 dies gar selbst veranlasst.

Dr. med. Gerhard Kreyenberg
1899 – 1996

Dr. Gerhard Kreyenberg wurde 1928 in den Alsterdorfer Anstalten als Assistenzarzt eingestellt. Er verbesserte die medizinische Versorgung in der Anstalt erheblich. Um den „Schwachsinn“ zu heilen, experimentierte er aber auch mit Röntgenstrahlen. Er führte Schocktherapien ein und ließ Wachsäle für „besonders Unruhige“ einrichten. Seine Methoden wurden immer radikaler.

In diakonischen Gremien setzte er sich nachdrücklich für eugenische Perspektiven ein. Er wollte nicht nur heilen, sondern gleichzeitig auch den „Volkskörper“ von „erbbiologischer Belastung“ befreien. Er legte „Sippentafeln“ an, um „minderwertiges Erbgut“ nachzuweisen. Er veranlasste die Zwangssterilisierung vieler Menschen mit Behinderung. Als Gutachter am Erbgesundheitsgericht arbeitete er aktiv an der Ausweitung der Sterilisationsmaßnahmen. 

Schnell ist er aufgestiegen: 1931 Oberarzt, 1936 Mitglied des Alsterdorfer Vorstands und 1938 stellvertretender Direktor Alsterdorfs. Ab 1933 war er Mitglied der NSDAP, ab 1934 Mitglied der SA und in der Leitung des „Rassepolitischen Amts“ der NDSAP Hamburg tätig.

Was als Heilungsoptimismus begann, hat sich schließlich ins Gegenteil verkehrt: in die Selektion und Vernichtung der „nicht mehr Heilbaren“. 1941 unterzeichnete Kreyenberg die Meldebögen der Berliner Euthanasie-Zentrale. 1943 genehmigte er die Abtransporte der „Schwächsten der Schwachen“, die seine Assistenzärzte und Oberpfleger dafür selektiert hatten.

1945 wurde Kreyenberg vom Dienst suspendiert. Er war sich keiner Schuld bewusst. 1952 ließ er sich als praktischer Arzt im Stadtteil Alsterdorf nieder. Von 1952 bis 1966 hat er auch wieder im Evangelischen Krankenhaus Alsterdorf gearbeitet.

Ein Strafverfahren gegen Kreyenberg wegen Beihilfe zum Mord wurde 1970 „außer Verfolgung“ gesetzt. Trotz „erheblichem Tatverdacht“ bestünden „Zweifel am Gehilfevorsatz“. 1996 starb Kreyenberg in Hamburg:

Pastor Friedrich Lensch
1898 – 1976

Pastor Friedrich Lensch wurde 1930 zum Direktor der Alsterdorfer Anstalten berufen.  Als Anhänger eugenischer Vorstellungen forderte er anstelle von „Euthanasie“ die Isolierung der Menschen mit Behinderung in der Anstalt. Es gelte, „das Erbkranke aus dem Volk herauszuziehen, von der Fortpflanzung auszuschalten und damit in sich selbst auflösen zu lassen.“

Lensch näherte sich immer mehr der NS-Ideologie an und erlebte die Machtübergabe an Hitler mit „großer, tiefer Freude“. Er wurde Mitglied der SA und einer Reihe von NS-Organisationen. Den Zwangssterilisationen stimmte er zu. Dem Ziel der „bewussten Höherzüchtung unserer Rasse und unseres Volkes“ hat er sich angeschlossen.

Lensch war Antisemit.  Auf seine Initiative hin wurden die jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner 1938 aus der Anstalt ausgeschlossen und so der Verfolgung preisgegeben.

Als es 1941 um die Meldebögen der Euthanasie-Zentrale ging, gab der Vorstand eine „Gewissenserklärung“ ab. Darin wurden „allerernsteste Bedenken“ geäußert, die Berechtigung des Staates zu diesen Maßnahmen jedoch nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Lensch schloss sich dieser Erklärung an und schickte sie zusammen mit den Meldebögen nach Berlin.

Im Juli und August 1943 veranlasste er nach der Bombardierung Hamburgs aus eigenem Antrieb heraus den Abtransport von fast 500 weiteren Bewohnern. Er gab an, die Anstalt müsse zu „kriegswichtigen Zwecken“ geräumt werden. Eine Aufforderung der Behörden hatte es dazu nicht gegeben.

Anfang der 1960er Jahre gab es ein innerkirchliches Disziplinarverfahren gegen Lensch. Und Anfang der 1970er Jahre versuchte die Hamburger Staatsanwaltschaft, eine Anklage wegen Beihilfe zum Mord zu erreichen. Beide Verfahren wurden jedoch eingestellt. Lenschs Erklärung, er sei über die Zielorte der Transporte nicht informiert gewesen, reichte aus. Von 1947 bis zu seinem regulären Ruhestand 1963 war Lensch Gemeindepastor in Othmarschen. Am 5.1.1976 starb er in Hamburg

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